Schüler wollen Konflikte lösen: „Der Gang zum Streitschlichter darf keine Strafe sein“
Oft sind es kleine Dinge, die nerven, die bedrücken, die sich hochschaukeln: Wenn sich ein Konflikt ausgewachsen hat, wollen Schlichter helfen, Lösungen aufzuzeigen. Was Friedensrichter im Großen anbieten, wollen – nicht nur in Bad Lausick – speziell geschulte Heranwachsende versuchen.
Streitschlichter gehören an der Bad Lausicker Oberschule zum Bild – und sie haben spürbaren Einfluss auf die Atmosphäre im Haus. Das bestätigen Schüler und Schulleitung gleichermaßen. Aktuell absolvieren sieben Mädchen und Jungen aus der sechsten Klasse bei Nadine Kummer eine Qualifikation. Kummer ist seit 2010 als Sozialpädagogin an der Bad Lausicker Bildungseinrichtung tätig, und sie ist ausgebildete Mediatorin. Eine, die weiß, wie man professionell mit einer anspannten Situation umgeht, wie Konflikte entschärft werden – und vor allem, wie es gelingt, das Vermitteln können zu vermitteln. Im März nächsten Jahres schließen die Sechstklässler in einem Camp ihre Ausbildung mit einem Zertifikat ab und werden dann in den Klassenstufen fünf bis sieben bei Bedarf zum Einsatz kommen. Außerdem sollen sie ab dem Sommer für die neuen Fünften Patenschaften übernehmen.
Dass professionelle Streitschlichtung etwas bringt, davon ist Amy überzeugt. „Seither ist es ruhiger geworden in unserer Klasse, die manchmal schon ein bisschen chaotisch ist“, sagt sie, bezieht diese Einschätzung aber auch auf die Schule insgesamt. Sich dafür einzusetzen, „dass es in der Schule kein Mobbing gibt“, motiviert ihre Klassenkameradin Emely, sich künftig selbst als Schlichterin zu engagieren. „Ich will wissen, wie man einen Streit lösen kann“, sagt Niclas, der schon erlebt hat, dass Unausgesprochenes und Ungeklärtes dazu führen können, dass eine Freundschaft Risse bekommt. Bedenken, als Schlichter nicht ernst genommen zu werden, hat auch Simon nicht: „Ich glaube, dass ich das hinkriegen werde.“ Zumal die Schlichter in diesem Prozess Nadine Kummer an ihrer Seite wissen und jedes Verfahren nach klaren und fairen Spielregeln abläuft.
„Unser Ziel ist es nicht, Streit zu verbannen. Durch Auseinandersetzung kann man sich ja auch weiterentwickeln“, sagt Kummer. Auf den Ton, die Art und Weise komme es an. Aktuell gebe es an der Oberschule fünf Schlichter, Schüler der Klassenstufen sieben bis neun: „Die machen das super.“ In vielen Fällen seien es Lehrer, die auf ihre Dienste zurückgriffen und ein Schlichtungsverfahren anregten. Jüngere Schüler, die den Bedarf sähen, kämen meist zuerst zu ihr, so die Schulsozialarbeiterin. Eine Schlichtung, konzipiert auf eine halbe Stunde – die Zeit einer großen Pause –, könne aber nur dann erfolgreich sein, wenn die Bereitschaft aller zu einem Konsens vorhanden sei. Am Ende eines Schlichtungsgespräches stehe eine Vereinbarung; mitunter folge im Abstand mehrerer Wochen eine Kontrolle, ob das dort Niedergelegte eingehalten werde. Entscheidend sei, sagt Kummer: „Der Gang zum Streitschlichter darf nicht als Strafe gelten. Wir wollen, dass ein Konflikt wirklich gelöst wird. Die Schüler selbst müssen ihn austragen, müssen für diese Lösung aktiv etwas tun.“ Das sei Arbeit, an der man wachsen könne.
„Seit wir die Schlichter haben, gibt es weniger Streit“, sagt Schulleiter Reinhard Deuil. Das beeinflusse positiv das Schulklima und signalisiere, „dass man Hilfe bekommt, wenn man sie braucht“. Die Schlichtungsverfahren stärkten die Eigenverantwortung der Schüler und damit deren Selbstbewusstsein. Ihre Bedeutung wachse wie die der Schulsozialarbeit insgesamt. Ein erhobener Zeigefinger und die Androhung von Sanktionen seien untaugliche Mittel im Schulalltag. Nicht nur Schüler und Lehrer wüssten Mediation zu schätzen, sondern auch die Eltern. Die Schlichter-Ausbildung ist Teil der Ganztagsangebote. Das Camp wird durch den Verein Gegenwind und die Unfallkasse Sachsen unterstützt.
Von Ekkehard Schulreich
Artikel veröffentlicht: 25. Oktober 2016 15:19 Uhr